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Eine Ode an den toten Mann

Einsam ist er. Aber langweilig wird ihm nie. Trotz seiner sehr obszönen und spärlichen Kleidung wird ihm auch nicht kalt, wirkt lächerlich neumodisch oder sexy. Der arme Herr ist aber auch nur aus Holz und hängt an der Wand. Ob er tot ist oder nicht ist Auslegungssache: für die einen ist er wegen der Sünden in unserem Haus gestorben für die anderen stirbt er nie. Wieder andere behaupten er habe gelebt, sei jedoch nicht richtig gestorben, da er ja wiederaufersteht, um dann aber doch nicht mehr so lange zu leben. Nur leben tut er nicht mehr in unserem Leben wie wir das interpretieren würden, sondern er stirbt, um dann im Himmel an der Seite seines Vaters weiterzuleben. Dat is doch mal wat! Obendrein ist er für einige unnennenswerter Ignoranten auch noch nur ein Holzstück das eh nix zu bedeuten hat, und nix als unnützen Streit entfacht, weil er nicht und nie gelebt hat/haben wird. Also ein riesen Streit um Lappalien. Das ist aber nicht das einzige verwunderliche an unserem ungesprächigem Freund. Jeder hat ja einen Vater und eine Mutter und weiß spätestens seit Beginn der Pubertät, wie ein Kind entseht. "The Kreutzhanging-man" fällt da aber komplett aus der Reihe. Seine Mutter ist unschuldig. Nein nein, ich habe nachgefragt, sie war nie angeklagt. Mit unschuldig ist jungfräulich gemeint. Das liegt daran, dass die ein oder andere überholenswerte Religion sehr verklemmt ist und da daher Sex anstößig ist. Da schreien einem doch schon neben Sinn und Zweck noch Logikanstößigkeiten ins Gesicht, aber nicht genug. Sie ist angeblich nicht nur "Unschuldig", der Vater ist nicht mal ihr Mann; sondern der heilige Geist! Jetzt würde ja jeder normale Ehegatte hier schon noch mal genauer nachforschen, aber nicht der Spaßkeks in unserer Überlieferung. Nicht nur, dass er die Geschichte glaubt, er erzählt sie sogar noch missionarisch munter weiter und vermengt in seiner Euphorie den Vater seines Sohnes mit einem Gott, also doch nicht mehr mit dem heiligen Geist. Vielleicht macht er das auch nur, weil der Herr Gott besser klingt als Herr Heiliger Geist. Oder der Ehemann wollte aus steuerlichen Gründen lieber nicht als biologischer Vater in der Geburtsurkunde erscheinen und hat daher dem Standesbeamten mittels einer Flasche Obstler und einem Augenzwinkern die Vaterschaft dem Heiligen Geist aufgedrängt. Übrigens muss ja dieser Herr Heiliger Geist für ziemlich viele Dinge herhalten, so ist er ja selbst bei mir immer ein willkommener imaginärer Schuldiger, bei allen meinen kleinen oder größeren Ungeschicklichkeiten. Wie etwa hat er schon in meiner frühesten Kindheit angefangen fahrlässig Blumenvasen zu zerstören oder Fußbälle durch Glasfenster zu schießen. Oh pardon ich vergaß; ich wollte ja noch die Geschichte von unserem kleinen Holzfreund erzählen. Ach ja; wir waren gerade beim Elternhaus: ist es bei diesem familiären Hintergrund nicht verständlich, dass sich da der Sohn gern mal hängen lässt. Aber muss das denn gleich in unserem Vorzimmer sein. Prozentual gesehen stammen nicht sehr wenig Leute aus problematischen Elternhäusern. Die hängen ja auch nicht alle an meiner Tür. Nun ja, wir wollen ja nicht werten, wir sind schließlich zum Glück nicht konservativ. Da darf ja jeder machen was er will und wo er es will. Deshalb sind wir ihm ja auch nicht böse. Ich meine nur er kann ja auch wo anders hängen. Nun denn lasset uns weitermachen: wie schon gesagt, er hat sich vorgenommen hier zu hängen und für unsere Sünden zu leiden. Ok, ist ja in Ordnung. Ich muss hier aber noch einmal (ich weiß ich nerve) an der Logikschraube drehen: warum macht er denn den Quatsch, unsere Sünden, soweit wir welche haben, werden doch nicht weniger oder weniger härter bestraft, wenn er schon mal im Voraus leidet. Es wäre ja auch gar nicht Sinn und Zweck der Bestrafung, wenn man andere für sich bestrafen lassen kann. Außerdem bringt das nicht viel, wir sprechen schließlich hier von einer Holzpuppe (die übrigens nicht auf den Namen Pinocchio hört, oder mit diesem Verwandt ist)! Zusammenfassend ist zu sagen: die Holzpuppe ist ein nicht so ganz lebender, nicht so ganz toter Mann mit unklaren familiären Verhältnissen, dessen unnütze Tätigkeit darin besteht, an einer Schultür zu hängen und sich selbst für undefinierte Sünden anderer zu bestrafen. Fragen Sie bitte jetzt nicht weiter, hier habe selbst ich aufgegeben. Ich wollte nur mal eben auf die Schnelle noch mal einen kleinen Denkanstoß in den Raum werfen, der schon immer mal gesagt werden musste! Vielen Dank für Ihre und meine verschwendete Zeit. Aber Zeit ist Geld und davon haben wir ja noch genug. Und wenn der Zug abgefahren ist, Herr Wöhrle, denn nehmen Sie doch einfach den nächsten.
Nein nein, ich hasse schlechte Kalauer, verstehen Sie mich nicht falsch, Sie wissen ja, das war der Heilige Geist!

Roman Linke


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